Interview mit einem ungeimpften Anarchisten

— Januar 2022 —


"COVID denial" is real. So is "COVID-management-induced-devastation denial." (1)


Du hast dich bisher nicht impfen lassen, hältst du die Impfung für gefährlich?

Die meisten Menschen dürften eher von ihr profitieren, und meiner über 80-jährigen Mutter habe ich auch zu Impfung und Booster geraten. Das heißt, für Risikogruppen macht sie aus meiner Sicht Sinn zur Reduzierung der Gefahren im Falle einer Erkrankung.


Wieso läßt du dich dann nicht impfen?

Ich gehöre zu keiner Risikogruppe, noch dazu habe ich Corona bereits Ende 2020 gehabt und ich denke es ist wichtig dem Zwang, der hier aufgebaut wird, entgegenzutreten. Die politischen Auswirkungen einer autoritären Biopolitik für die Freiheitsrechte der Einzelnen und die Instrumentalisierung der Coronapolitik zur tiefergehenden Durchsetzung dieses biopolitischen Zugriffs auf die Menschen — z. B. Impfzwang und Gesundheitspass — sind langfristig viel gefährlicher als das Virus. Außerdem gibt es viele weitere gute Argumente gegen die Durchimpfung der allgemeinen Bevölkerung.


Welche?

Das wichtigste weitere Argument ist, dass, wenn es wirklich darum ginge, möglichst viele Menschen vor Schaden durch das Virus zu bewahren, die Impfstoffe zuerst global allen Menschen aus Risikogruppen zur Verfügung gestellt werden müssten, inklusive Boostermöglichkeit. In Deutschland weitgehend ungefährdete gesunde Menschen, evtl. sogar mit bereits erworbener Resistenz, mit der Impfspritze zu verfolgen, und dadurch gleichzeitig die älteren und vulnerablen Menschen im Trikont, den ärmeren Regionen der Welt, sterben zu lassen, und dann den Widerstand gegen diese Form menschenverachtenden Handels als unsolidarischen Akt zu bezeichnen, ist an Verlogenheit kaum zu überbieten.

Ich sehe aber noch weitere Gründe. Zum Beispiel, dass es hier recht eindeutig um Gentechnikmarketing geht, und neuartige, nicht hinreichend abgesicherte Verfahren im Massenversuch durchgesetzt werden. Ich halte die sich daraus ergebende Gefahr massiver nicht intendierter Langzeitfolgen zwar nicht für hoch, aber das ist wie mit der Kernschmelze im AKW: Irgendwann passiert es dann doch. Und einmal durchgesetzt, wird es nicht bei der einmaligen Anwendung dieser Verfahren bleiben. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir Krankheits- und Todeszahlen wie bei Asbest und ähnlichen Neuerungen sehen werden. Und es gibt gute Gründe, gentechnologische Verfahren grundsätzlich abzulehnen.


Wäre dann nicht ein konventioneller Impfstoff eine Alternative?

Sicher, ein Teil derjenigen, die sich nicht impfen lassen, würde sich dann impfen lassen. Dies wäre der einfachste Weg, die Impfquote zu erhöhen. Dass die Bundesregierung die existierenden und inzwischen weltweit erprobten konventionellen chinesischen Impfstoffe nicht zulässt, zeigt insofern auch, dass der Politik die Impfquote an sich egal ist. Es geht hier beim Impfzwang und der Agitation gegen Ungeimpfte um andere Dinge.


Um was?

Um die Ablenkung vom Versagen der eigenen Politik und der Widersprüche, in die sich diese verwickelt hat, durch Anspielen eines autoritären Populismus.
Und es geht eben um das erzwungene Durchdrücken und die Normalisierung der Gentechnologie.
Außerdem ist ein Teil dieser Politik auch der Versuch, durch körperliche Unterordnung das Selbstwertgefühl der Menschen, die Widerstand leisten, zu brechen, um totalen Gehorsam gegenüber einer auf das Subjekt bezogenen neuen Biopolitik durchzusetzen. Gesellschaft und Politik verhalten sich hier in Teilen vergleichbar den SchulschlägerInnen, die schwächere SchülerInnen in die Mülltonne drücken, um sie zu unterwerfen.


Aber hilft die allgemeine Impfung nicht, die Verbreitung von Covid 19 zu unterbinden?

Nein, da auch Geimpfte das Virus bekommen können; eine Impfung kann die Verbreitung nur etwas verlangsamen. Wir haben auch keine Pandemie der Ungeimpften, sondern eher eine der Geimpften. Das Verhältnis der PatientInnen im Krankenhaus lag Ende 2021 bei ca. 4 Geimpften zu 6 Umgeimpften. Da die Wahrscheinlichkeit für Geimpfte, zum Krankenhausfall zu werden, nach Aussage der ImpfbefürworterInnen bei einem Zehntel des Risikos für Ungeimpfte liegt, gilt, dass jedem geimpften Krankenhausfall die zehnfache Zahl an geimpften Infizierten entspricht, als einem ungeimpften Krankenhausfall ungeimpfte Infizierte entsprechen. Einmal angenommen, 6 ungeimpften Krankenhausfällen würden 600 ungeimpfte Infizierte entsprechen, dann würden 4 geimpften Krankenhausfällen 4.000 geimpfte Infizierte entsprechen. Die Weiterverbreitung läuft also weitgehend über die hohe Zahl geimpfter Infizierter.


Diese Rechnung werden einige anzweifeln...

Damit würden sie die Wirksamkeit der Impfung bestreiten, das hielte ich, falls sie ImpfbefürworterInnen sind, für dumm. Wenn die Impfung wirksam ist, gilt auch, dass den geimpften Krankenhausfällen eine sehr viel höhere Zahl geimpfter Infizierter entsprechen muss, als dies beim Verhältnis von ungeimpften Krankenhausfällen zu ungeimpften Infizierten der Fall ist.

Es gibt darüber hinaus eine nicht unbeträchtliche Minderheit an EvolutionsbiologInnen, die gerade die gentechnologisch produzierten Impfstoffe und die allgemeine Impfkampagne als Ursache sich immer wieder neu herausbildender Resistenzen ansehen.


Wieso?

Der gentechnisch erzeugte Impfstoff ist hinsichtlich der Funktionalität sehr spezifisch auf die dominante Virusvariante zugeschnitten und seine Wirkung kann deshalb durch Mutationen sehr viel leichter umgangen werden, als die Wirkung konventioneller Impfungen, die breiter aufgestellt sind. Da die Impfung Ansteckung nicht unterbindet, wirken angesteckte Geimpfte außerdem geradezu als Brutstätte resistenter Mutationen. Wenn ich die Gesamtbevölkerung impfe, erzeuge ich dadurch einen starken Mutationsdruck in Richtung impfresistenter Mutanten des Virus.


Da gibt es aber noch das Argument der Auslastung der Intensivkapazitäten...

Das ist ja wohl hinfällig, wenn ich einen der Hauptverantwortlichen für die Zerstörungen im Gesundheitssystem zum Gesundheitsminister mache. Unter der rot-grünen Bundesregierung war Karl Lauterbach 2003 an der Einführung der inzwischen viel kritisierten Fallpauschalen im Gesundheitssystem beteiligt. Noch im Juni 2019 war der SPD-Bundestagsabgeordnete der Meinung, "dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite Klinik schließen sollten". Dann, so twitterte er damals unter Berufung auf eine Analyse der Bertelsmann-Stifung, "hätten die anderen Kliniken genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität, und nicht so viel Überflüssiges". Länder und Städte würden dies aber blockieren.(2) Gleichzeitig erhielt Lauterbach als Aufsichtsrat des privaten Klinikriesen Rhön, für den er von 2001 bis 2013 im Aufsichtsrat saß, ein Salär von insgesamt rund einer halben Million Euro.(3)
Diese Demontage der solidarischen Krankenversorgung wurde auch während der Pandemie mit dem Abbau weiterer Intensivkapazitäten und Klinikschließungen fortgesetzt. Um die Zahl der CoronapatientInnen zu reduzieren, müsste ich außerdem nicht allgemein impfen, sondern die Risikogruppen gezielt überzeugen. Dies wird durch das zugespitzte Diskursklima, für welches wiederum der Gesundheitsminister einer der Hauptverantwortlichen ist, aber immer schwieriger.


Also hast Du rein politische und medizinische Sachargumente gegen das Impfen?

Nein, auch das funktionalistische Menschenbild, welches Menschen auf eine Art minderwertiger Biomaschinen reduziert, also eine Art sich fortbewegender Biohazards, und das den Menschen einzureden versucht, sie müssten ihre Minderwertigkeit durch technologische Überwachungsmaßnahmen und medizinische Nachoptimierung ausgleichen, stellt für mich einen Angriff auf das dar, was Menschen ausmacht. Menschen wie störanfällige biomechanische Hampelfiguren der Disziplinierung durch Medizin, Digitalkonzerne und biopolitische Technokratie zu übereignen, ist für mich eine Negierung des Lebens an sich. Leben ist mehr als das nackte Leben. Gerade dort, wo wir die Befriedigung funktionalistischer Grundbedürfnisse überschreiten, wird der Mensch zum Menschen. Um es noch klarer auszudrücken: Es gibt Wichtigeres, als Gesundheit im Leben — Glück und Freiheit zum Beispiel. Das Menschenbild der modernen BiohygienikerInnen der Coronapolitik erinnert nicht zufällig an jenes, welches sich in modernen digitalen Arbeitsverhältnissen für die Armutsbevölkerung manifestiert, wie z. B. der Plattform 'Mechanical Turk'(4), die bewusst Menschen auf die Funktion eines nachgeordneten Teils einer Maschine reduziert und mit der Amazon noch die Arbeitskraft der Menschen in Failed States, Elendsregionen und Flüchtlingslagern ausquetschen kann — solange sie nur einen Internetanschluss haben. Der wird dann aber großzügig von Stiftungen des Digitalkapitals zur Verfügung gestellt.


Ein Teil der ImpfgegnerInnen argumentiert ja aber eher irrational...

Sicher, du siehst hier ähnliche Strukturen wie in der frühen Anti-AKW-Bewegung. Die meisten Menschen achten in ihrem Denken nicht sehr auf logische Konsistenz, da mischen sich schnell rationale Argumente mit allen möglichen Vorurteilen und irgendwo aufgeschnappten abstrusen Theorien. Das Unrechtsgefühl, das sie antreibt, ist aber berechtigt.


Was stört Dich am meisten daran?

Zum einen, dass auch viele KritikerInnen der Coronapolitik extrem technokratisch mit einer sehr reduzierten, durch die Naturwissenschaften vorgegebenen Logik argumentieren, also nur mit anderen Statistiken. Auch hier scheint das Bedürfnis wenig ausgeprägt, zu begreifen, was gesellschaftlich tatsächlich passiert.


Und was noch?

Zum anderen ist das Bild, das hier über PolitikerInnen und bestimmte KapitalistInnen verbreitet wird, vollständig absurd. Sicher verhalten sich diese teils asozial, für AnarchistInnen ist das nicht überraschend. Die Ablehnung des Parlamentarismus ist eine Grundlage anarchistischer Theorie und Praxis. Pierre Ramus schrieb z. B.: "Die Repräsentanten des Parlaments sind Abgeordnete der verschiedenen wahlwerbenden Parteien, die im Streben nach zentraler Regierungs- und Staatsmacht vorwiegend ihre zentrale Aufgabe erblicken".
Die Darstellung dieser Menschen als eine Art teuflischer Genies, die hinter verspiegelten Glasfassaden die Neuaufteilung der Welt planen und dies dann in einem genialischem Masterplan umsetzen, taugt aber höchstens für einen C-Movie. Das heißt, wir haben es bei einem Teil dieser PolitikerInnen mit ganz normalen Feld-, Wald- und Wiesen-Asozialen zu tun, von denen viele eher durch Zufall dorthin gelangt sind, und die gerade deshalb primär um ihren eigenen Machterhalt und ihre eingebildete Wichtigkeit besorgt sind. Für einen andere Teil gilt, dass diese zumindest teilweise sicher nicht einmal eine böse Absicht haben, sondern sich ihre Lügen lediglich so lange selbst eingeredet haben, dass sie diese glauben. Sie sind genuine VertreterInnen der herrschenden Ideologie.

Und leider besteht die reale Gefahr, dass sich aufgrund des weitgehenden Ausfalls emanzipatorischer linker Kräfte viele der Aktiven im Widerstand gegen die Coronapolitik nach Rechtsaußen orientieren. Zurzeit ist dies aber noch nicht die Realität. Eine AntiFa, welche die Grenzen zwischen bürgerlichen Protestierenden, irrationalen Protestierenden, EsoterikerInnen, linken Protestierenden und faschistischen Protestierenden schleift, trägt aber dazu bei, eine solche Tendenz zu befördern. Aber vor allem war diese Politik zerstörerisch für Teile der Linken: Einige Aktionen der AntiFa erzeugen den Eindruck, dass in diesen Strukturen nicht weniger VerfassungsschutzmitarbeiterInnen aktiv die Politik gestalten als in der rechtsradikalen Szene. Wichtiger für die Entwicklung des Coronawiderstands war aber sicher die Förderung der Irrationalität durch die weitgehende Verweigerung rational kritischer Diskurse über Maßnahmen in den Medien und die autoritäre Radikalisierung eines Großteils der Parteiendemokratie von der CSU bis hin zur Linkspartei, z. B. die von vielen protegierten Gewaltfantasien gegen ImpfkritikerInnen. Dies trieb und treibt viele GegnerInnen weiter in den Irrationalismus, statt komplexe gesellschaftliche Analysen der Politik zu ermöglichen und Kompromisse zu finden. Ein Extrembeispiel ist der Rekurs des Bundeskanzlers auf Goebbelssche Rhetorik. Die Redenschreiberin oder der Redenschreiber von Scholz wusste mit Sicherheit, dass die Rede von den roten Linien, die es nun nicht mehr gebe, als Aufgriff der Frage 'Wollt ihr den totalen Krieg?' verstanden werden würde. Und auch Scholz wusste dies mit Sicherheit. Das heißt, hier wurde mit unglaublichem Zynismus eine faschistische Trope(5) aufgegriffen, um sich rechtsautoritär als starke Handlungsfigur zu konstruieren. Dass Scholz sicher nicht vorhat, eine faschistische Machtergreifung durchzuführen, ändert nichts am menschenverachtenden Zynismus der politischen Instrumentalisierung solcher NS-Tropen und ihrer dadurch bedingten Normalisierung. Bisher waren solche Tabubrüche eine Spezialität der AFD, heute ist dies Teil rot-gelb-grüner Selbstdarstellung. Und natürlich werden die BefürworterInnen dieser Politik auch auf diese Kritik hin vergleichbar der AFD reagieren und behaupten, dies wäre doch alles gar nicht so gemeint gewesen.


Was bedrückt Dich am meisten an der Situation?

Der weitgehende Zusammenbruch der außerparlamentarischen antiautoritären und anarchistischen Linken. Zu Beginn der Pandemie Anfang 2020 war es erst einmal verständlich, dass auch antiautoritäre und anarchistische Linke verunsichert agierten und die Maßnahmen nur wenig kritisiert haben. Inzwischen ist das aber schon länger in keiner Weise mehr zu rechtfertigen.


Was meinst Du damit?

Zwecke, Realität und Folgen der Coronapolitik sind inzwischen überdeutlich. Wir erleben eine der größten Umverteilungen von Vermögen von ärmeren und mittleren Einkommen zu einer kleinen Schicht von Superreichen und der Kaste der ihnen zuarbeitenden SozialtechnokratInnen. Weit über 100 Millionen Menschen, wahrscheinlich sogar mehr als eine Viertelmilliarde, sind zusätzlich in den Hunger getrieben worden, und ihnen wurde selbst das Minimum zur Sicherung ihrer Subsistenz entzogen. Dies bedeutet nicht nur aktuell Leid, sondern auch statistisch eine verkürzte Lebenserwartung für Abermillionen. Die Coronapolitik wird global zum Ausbau von Überwachung, Abbau von demokratischen Grundrechten (oder ihrer völligen Aufhebung) und zum Systemumbau im Sinn des Digital- und Finanzkapitalismus' genutzt, was Massenverelendung und eine Verschärfung der Ausbeutungsverhältnisse zur Folge hat. Die GegnerInnen dieser Maßnahmenpolitik als egoistisch oder unsolidarisch zu bezeichnen, verdreht die Realität und weist auf die Verachtung und Fühllosigkeit großer Teile der 'Linken' in Deutschland gegenüber den Opfern der Coronapolitik (hunderte Millionen weltweit) hin, bis hin zum niedermachenden, selbstgerechten und verlogenen Moralismus diesen Opfern gegenüber, falls sie sich wehren. Durch Coronamaßnahmenpolitik werden langfristig — dies ist heute leider bereits mit Sicherheit feststellbar — sehr viel mehr Menschen ums Leben kommen, als aktuell gerettet worden sind. Letztendlich sehen wir hier eine Politik der Herrschenden, bei der diese sich von Verantwortung freikaufen, und zwar durch die Vermeidung von Toten hier und heute, auf Kosten von sehr viel mehr Toten in der Zukunft. Hier und in anderen Regionen, als Folge der Coronapolitiken und der durch sie verursachten Verelendungsprozesse. Das gilt selbst dann, wenn Deutschland alleine betrachtet wird. Die bereits jetzt feststellbaren Folgen der massiven Einschränkungen für Kinder und Jugendliche durch die Maßnahmen gegen die Pandemie, die Zunahme von Fehlernährung und Depression, liegen bezogen auf die gesamte Generation (6 bis 15 Jahre) im einstelligen Prozentbereich. Die Pandemiepolitik hat also allein in dieser Altersgruppe mehr als hunderttausend Opfer produziert.(6) Zu erwarten ist leider, dass diese Opfern auch in Zukunft mit großer Ignoranz begegnet werden wird, insbesondere dann, wenn es darum geht, die Schuldigen zu benennen. Zu befürchten ist, dass selbst viele TherapeutInnen hier als KomplizInnen der herrschenden Narrative gegen ihre PatientInnen agieren werden.
Dass große Teile der 'Linken' diese ganzen Prozesse bis heute durch Leugnung ignorieren und schönreden, ist ein Akt der Selbstzerstörung, der auf den ersten Blick schwer fassbar ist.


Gab es denn Alternativen?

Das Beispiel Schweden zeigt, dass selbst im Spektrum reformistischer Politikansätze eine moderate Maßnahmenpolitik mit fast vergleichbarem Erfolg bzgl. der Verhinderung von Toten durch Covid 19(7), aber sehr viel geringeren Folgekosten für die Menschen und die Freiheitsrechte möglich war. Dass dies in Deutschland nicht umgesetzt wurde, hatte im Wesentlichen zwei Gründe:
Den genannten Grund des Versuchs der Verschiebung der Folgen in die Zukunft, um die Verantwortung nicht übernehmen zu müssen.
Und den Grund, dass Teile der Kapitalfraktionen und der Herrschenden in Corona eine willkommene Möglichkeit sahen, ganz andere Politiken, die vorher nicht durchsetzbar waren, durchzusetzen.
Und auch darauf bezogen ist die Verleugnung der Instrumentalisierung der Coronapolitik zur systematischen Durchsetzung anderer Herrschaftsinteressen durch große Teile der 'Linken' nicht leicht zu begreifen. Selbst Teile der 'antiautoritären Linken' begreifen sich nun als Stützen des autoritären Obrigkeitsstaates und unterstützen den Ausbau einer überwachungsstaatlichen Digitalisierung und einer autoritären Biopolitik — und fördern die wechselseitige Asozialität im Umgang mit anderen.


Kannst Du das an einem Beispiel konkretisieren?

Eine ImpfgegnerIn dazu zu zwingen, sich impfen zu lassen, ist vergleichbar damit, einer VeganerIn mit Gewalt Fleischbrühe einzuflößen, das kann ja vergleichbar 'freiwillig' wie beim Impfen geschehen, indem sie vor die Wahl gestellt wird, zu (ver)hungern oder halt Fleischbrühe zu sich zu nehmen. Dass Menschen, die solche Praxen gutheißen, sich weiter als 'antiautoritäre Linke' oder als 'AnarchistInnen' bezeichnen, ist selbstverlogen. Widerlich wird es dort, wo eben diese Menschen jene AnarchistInnen und antiautoritären Linken, die sich, wie es für AnarchistInnen selbstverständlich sein sollte, für körperliche Selbstbestimmung und das Recht auf Integrität der Einzelnen einsetzen, als rechts diffamieren. Noch abstruser wird es nur noch, wenn dieselben Exantiautoritären dann, wenn es gelungen ist, einzelne mit Gewalt zur Impfung zu zwingen, die dadurch erhöhte Impfquote als Beleg für die letztendlich doch rational besseren Argumente und die Überzeugungskraft der ImpfbefürworterInnen darstellen.
Über Sinn und Unsinn vieler einzelner Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie lässt sich streiten, sachlich ist vieles unklar(8) und AnarchistInnen können hier natürlich unterschiedlicher Meinung sein. Bezüglich der katastrophalen politischen Auswirkungen einer autoritären Biopolitik für die Freiheitsrechte der Einzelnen und der Instrumentalisierung der Coronapolitik zur tiefergehenden Durchsetzung von Ausbeutung und des biopolitischen Zugriffs auf die Menschen, z. B. Impfzwang, Gesundheitspass und Verschärfung von Prozessen der Verelendung, muss aber jede anarchistische Positionierung diese zumindest zentral als Problem thematisieren und ihnen entgegentreten. Wer in diesen Prozessen keine Gefahr sieht und sie für vernachlässigbar hält, hat aufgehört, AnarchistIn zu sein.


Wieso ist die Linke in dieser Form weggebrochen?

Dieser Zusammenbruch großer Teile einer kriselnden Linken hin zur Affirmation autoritärer Biopolitiken und Strukturen erinnert an Positionswechsel, wie sie früher z. B. die BellizistInnen im Golfkrieg vollzogen haben. Nur haben in diesem Fall sehr viel größere Teile der 'Linken' ihre Position grundlegend verschoben. Ich denke, es gibt ein ganzes Bündel an Ursachen.

Es gibt es innerhalb der außerparlamentarischen Linken der BRD Traditionslinien, an welche die Kräfte der postdemokratischen, neuen technokratischen Autoritären, die heute die bürgerlichen Parteien von den Grünen bis zur CSU dominieren, anknüpfen konnten.

Die Nutzung von Angstpolitiken vor unsichtbaren Bedrohungen, in denen sich häufig reale erkannte Bedrohungen und kritische rationale Analysen mit irrationalen Affekten mischen, finden sich in vielen linken Bewegungsmobilisierungen. Viele Aktive in der Antiatombewegung oder in den Bewegungen zur Kritik der Gentechnik und Konzernen der Chemischen Industrie waren zumindest zum Teil von irrationalen Ängsten vor dem unsichtbaren Tod getrieben. Es war angesichts der virologischen Bedrohung nur ein kleiner Schritt dahin, diese Angstpolitikstruktur nun antiemanzipatorisch gegen die Menschen zu wenden. Dies gilt desto mehr, da Teile der heute Herrschenden als ehemalige AkteurInnen aus politischen Bewegungen nach dem Marsch durch die Institutionen in diesen verendet sind, und nun wesentlich zur Modernisierung autoritärer Herrschaft beitragen.

Gleichzeitig ist auch in Teilen der außerparlamentarischen Bewegungen, die seit dem 19. Jahrhundert innerhalb bestimmter Fraktionen der Linken stark verankerte Fortschritts- und Technologiegläubigkeit inklusive einer verkürzten naturwissenschaftlichen Rationalität weiter wirksam gewesen. Wie stark diese Denkstrukturen, die insbesondere aufgrund der Auseinandersetzung mit der Wirkung solcher Anschauungen und der mit ihnen verknüpften instrumentellen Logiken im NS als falsch erkannt wurden, sich heute wieder durchgesetzt haben, war mir nicht klar. Und die Möglichkeit, diese mit den erstgenannten Affekten zu verknüpfen, habe ich vorher auch nicht gesehen.

Das heißt, wir sehen in der Viruspolitik ein Verschmelzen irrationaler affektiver Angstpolitiken, mit einer verkürzten naturwissenschaftlichen Rationalität und einer Politik, die von instrumenteller Vernunft bestimmt wird.

Dazu kommt dann noch die traditionell in Deutschland tief verankerte Intellektuellenfeindlichkeit, welche nun nicht mehr nur in rechten, sondern auch in linken Zusammenhängen stark ausgeprägt ist. Auch dies verknüpft sich mit den bereits beschriebenen Denkstrukturen. Das heißt, eine fundierte theoretische Analyse findet nicht mehr statt. Die politische Analyse bleibt bei der Betrachtung von Oberflächenphänomen stehen, als wären die beobachteten Phänomene die gesamte Realität, als gäbe es eine neutrale 'wissenschaftliche (richtige)' Beobachtungsposition. Eine kritische Analyse der Politiken im Kontext der Herrschaftsverhältnisse und eine Ideologiekritik werden verweigert und teils sogar als Verschwörungstheorie ausgegrenzt.(9) Dies führt zu der für mich absurden Situation, dass ich als gewaltfreier Anarchist zurzeit feststellen muss, dass Teile der ehemaligen Bahamasredaktion heute in Deutschland, außer den anarchistischen Zusammenhängen, für die ich stehe, fast die einzigen sind, die eine solche Analyse zumindest angehen.


Wo?

Aus dem Umfeld der ehemaligen Bahamasredaktion wurde die Broschüre 'Der Erreger' publiziert und ist erhältlich unter der E-Mail-Adresse: dererreger@posteo.de (Kosten 5,- Euro). Sie enthält eine Textsammlung mit zumindest teilweise wirklich analytisch etwas tiefergehenden Texten. Aus dem anarchistischen Umfeld, für das ich stehe, wurde das Buch 'Die Freiheit zur Krankheit' publiziert (unter dem Pseudonym Ada Frankiewicz). Erhältlich als Download kostenfrei auf http://ethikkommission.info/zigarettenkirchechomsky/freiheit_zur_krankheit.htm oder im Buchhandel.


Siehst Du noch weitere Gründe für das Versagen der antiautoritären Linken?

Die mangelnde Abgrenzung der antiautoritären Linken vom NGO-Spektrum, das unter dem Einfluss von 'Professionalisierung', den mit ihr verbundenen Änderungen der Ausrichtung und entstehenden Abhängigkeiten von externen Finanzierungsquellen und Machtzugängen immer mehr zum Teil des Problems wird, statt Teil der Lösung zu sein. Ein typisches Beispiel dafür ist die Kampagnenplattform campact, die sich im letzten Wahlkampf als Lauterbachclaquer aufgestellt und ihn im Wahlkampf unterstützt hat, also einen Politiker, der seit Jahren die neoliberale Zerschlagung der solidarischen Gesundheitsversorgung betreibt und teils erhebliche Summen von einem der großen privaten Klinikkonzerne erhalten hat. Campact ist hier leider kein Einzelfall, immer mehr NGO verwandeln sich — häufig unter dem Stichwort 'Professionalisierung' — zu Softpower-Er- gänzungsakteurInnen des Herrschaftsapparats, falls sie sich nicht als systemnahe NGO neuen Typs gleich in dieser Form gründen. Dabei verwenden sie aber häufig Teile der ehemals (radikalen) linken Symbolik weiter.

Diese Entwicklungen im NGO-Bereich lassen leider auch schlimmstes für die Klimapolitik befürchten, genauer gesagt ihre Instrumentalisierung zur Absicherung von Herrschaftsverhältnissen und Ausbeutungsstrukturen und dadurch die Unterminierung der Zustimmung zu dieser Politik in großen Teilen der Bevölkerung. Wer eine solche Politik im Bündnis mit BlackRock(10) angeht, ist zum Scheitern verurteilt, obwohl BlackRock sicher gut dabei verdienen wird.

Politikübergreifend liegt außerdem wohl ein Grund darin, dass viele nicht damit umgehen konnten, dass sie, egal, wie sie sich entscheiden, Tote verursachen. Deshalb haben sich viele zur Verdrängung der Realität der durch die Coronapolitik bewirkten Verelendung und langfristiger Todesfolgen entschlossen.


— Ein Anarchist —, April 2022

Ende





Fußnoten

(1) — Zitat nach: Mad Science, Sane Science - Norman Doige - https://www.tabletmag.com/sections/science/articles/mad-science-sane-science

(2) — Zitat nach: https://www.heise.de/tp/features/SPD-Ministerposten-vergeben-Es-sind-sehr-gute-Frauen-und-Maenner-6287178.html

(3) — Zitat nach: https://www.nachdenkseiten.de/?p=40168

(4) — Mechanical Turk: Eine Plattform, über die Amazon Microwork-Aufträge vergibt und die auch andere Anbieter nutzen können. Microwork heißt, dass Arbeiten in Bruchstücke aufgesplittet und global über Plattformen weitervergeben werden. Diese Plattformen sind so organisiert, dass die menschliche Arbeit als untergliederte Zuarbeit des Programms erfolgt. Die Eingabeoberfläche für Aufgaben gleicht der von Computerprogrammen, die menschliche Arbeit dahinter wird unsichtbar. Amazon nannte aus diesem Grund die Plattform Mechanical Turk, nach dem gleichnamigen Schachautomaten des 19. Jahrhunderts, in dem verborgen ein Mensch saß und die Figuren bewegte. 90 % der Arbeiten bringen weniger als 10 Cent pro Auftrag ein. 30 % der Arbeiten werden gar nicht bezahlt. Ein 'guter' Stundenlohn liegt bei 5 Dollar, viele Microworker verdienen weniger. Millionen MicroarbeiterInnen arbeiten global verstreut, werden automatisch durch Algorithmen bewertet und sind permanent von Sanktionen bedroht. Microworker sind teils ZwangsarbeiterInnen in Gefängnissen, teils Flüchtlinge in Flüchtlingslagern oder Menschen in Armutsregionen. Hinter Teslas Fahrzeug-IT steckt die Microarbeit aus Armutsregionen Venezuelas. (Work without the Worker - Phil Jones - Verso 2021)

(5) — Der Begriff Trope wird hier verwendet um den Aufgriff eines im Diskurs als bekannt angenommenen Themas, einer Sprachfigur oder eines inhaltlichen Bezuges in verfremdeter Form begrifflich zu fassen (https://www.merriam-webster.com/ dictionary/trope). In Deutschland gibt es eine ganze Reihe solcher aus der NS-Zeit bekannten Themen/ideologischen Versatzstücke, die durch Anspielungen insbesondere von RechtspopulistInnen und FaschistInnen rhetorisch immer wieder aufgegriffen werden, unter Vermeidung der direkten Identifizierung.

(6) — Fehlernährung und Depression haben statistisch langfristige Folgen, nicht nur bezogen auf Gesundheit und Lebenserwartung, sondern auch auf das Lebensglück. Es geht hier nicht um Menschen, die gerne essen, sich dabei nicht durch den Gesundheitsfetisch einschränken lassen und für die dies einen positiven Teil ihres Lebens darstellt, sondern um Kinder und Jugendliche, die zu viel essen und sich zu wenig bewegen, weil ihnen sonst nicht viel vom Leben geblieben ist und ihre Bewegungsräume eingeschränkt wurden. Dies sind ebenso gut abgesicherte wissenschaftliche Fakten, wie die Aussagen der Medizin zum Virus. Viele der auf Kinder bezogenen psychosozial schädlichsten Maßnahmen sind dabei gleichzeitig bzgl. ihrer Wirksamkeit zur Bekämpfung der Pandemie in der Medizin hoch umstritten, ihre katastrophalen psychosozialen Folgen für die Kinder sind hingegen bekannt.

(7) — Die Zahl der in Deutschland pro Kopf der Bevölkerung an Corona Verstorbenen näherte sich Ende 2021 der Zahl der pro Kopf der Bevölkerung in Schweden an Corona Verstorbenen an.

(8) — Siehe dazu z. B.: The Faustian Bargain Between Pandemic Scientists and the Media - Casting scientists as polarizing media figures has proved a disservice to both science and the public - Eran Bendavid - https://www.tabletmag.com/sections/science/articles/faustian-bargain-scientists-media

(9) — Beispielsweise werden mit dem Begriff 'Verschwörungstheorie' fast alle Analysen belegt, die darstellen, dass die Pandemie von bestimmten Kapitalfraktionen zur Durchsetzung von Politiken genutzt wurde, die ihre Interessen bedienen, vorher aber nicht durchsetzbar waren (Abschaffung Bargeld / Digitalisierung / Neuordnung der Biopolitik / ...).

(10)https://de.wikipedia.org/wiki/BlackRock



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Aktualisiert 22.05.2023